Sonntag, 10. Februar 2013

Veilchen - Bescheidenheit von Luise Cortambert

Veilchen - Bescheidenheit

Bild von Leo Michels
 ,,Ich war fünfzehn Jahr alt," schreibt die Frau de Latour: „als sich ein unerklärbares Sehnen aller meiner Sinne plötzlich bemeisterte. Ich weinte, ohne wirklichen Gram zu haben, ich lachte, ohne Grund zur Freude, und erschreckt durch das Leben, verfolgte mich ein geheimer Wunsch, zu sterben.

Meine niedergeschlagenen Augen, meine verblichenen Wangen, mein ungewisser Gang und meine klagende Stimme erfüllten das Herz meiner zärtlichen Mutter mit ängstlichen Besorgnissen. Ihre Sorgfalt konnte mich nicht mehr aufrichten. Von ihren Thränen benetzt, an ihren Busen gelehnt, meine Hände von den ihrigen gedrückt, vernahm ich ihre Klagen über meine Schwermuth.



Ich versuchte es, zu lächeln, um sie zu beruhigen, aber ich hatte keine Ahnung von jener Hoffnung, die ich ihr einflößen wollte. Als ich mich in diesem Zustande befand, hatten die Bäume ihr Laub verloren, und der Winter herrschte mit seiner ganzen Strenge in unsrer Gegend. Sitzend vor einem knisternden und sprühenden Feuer, verzehrte mich seine Gluth, und von dem geringsten Eindruck des Frostes fühlte ich mich erstarrt. Jeden Abend entschlief ich, abgespannt und mir selbst zur Last, ohne die Hoffnung, daß ich am folgenden Morgen wieder erwachen würde.

Einst in einer Nacht, es war im Februar, kam es mir vor, als wenn ein Sonnenstrahl urplötzlich auf meinen Scheitel gefallen wäre, der mich mit einer wohlthätigen Wärme durchdrungen, und daß eine süße und zärtliche Stimme mich aufgefordert hätte, zu leben. Gestärkt durch dies Traumbild, erwachte ich; der Himmel war wolkenlos und rein, die ersten Strahlen der Morgensonne vergoldeten mein Fenster; ich warf mich eiligst in die Kleider und ging fort; ich eilte durch den Schnee, nach dem großen Walde, der die Höhen unsers Wohnsitzes umkränzte. Als ich in diese Einsamkeit gekommen war, fühlte ich mich erschöpft; ich lehnte mich an eine Eiche und blickte nach den üppigen Wiesen, die von der Maas getränkt werden, und nach den blühenden Thälern, wo ich noch in dem letzten Frühling an den Scherzen meiner muntern Gespielen Theil genommen hatte.

Alles war verändert. Die Maas bedeckte das Land nur mit ihrem ausgetretenen Gewässer. Traurig wollte ich in die Wohnung zu rückkehren, als ein Sonnenstrahl den bemoosten Stamm der Eiche beschien, an dem ich geruht hatte. In dem nämlichen Augenblick wurde ich einen schon grünen Fleck gewahr und athmete süße Wohlgerüche ein. Welche Überraschung ! Wohl zwanzig Büschel, mit Veilchen ganz besät, wurde ich gewahr. Ich kann es nicht mit Worten ausdrücken, was ich fühlte; ein süßes freudiges Gefühl er füllte mein ganzes Wesen. Nie sind mir diese Blümchen so frisch vorgekommen! Sie ragten aus dem Rasen hervor, wie auf einem Altar. Ihr milder Wohlgeruch, die Klarheit der Sonnenstrahlen, die große Schneedecke, die sich weit um her ausbreitete, und die dieses Plätzchen geschont zu haben schien; die Eiche, die ihm Schutz verlieh und die mit ihren dürren braunen Blättern dies Bild des wiederkehrenden Frühlings bedeckte, alles erfüllte mich mit einem Gefühl, ähnlich dem süßen Gefühl der Liebe.

Jeh erfüllte das Glück, das mir der Traum verkündet hatte, mein ganzes Wesen, und ich mahnte, ich athme den süßen Duft aller Blumen des Lenzes ein, genösse alle Wonnen der Jugend. Doch, auf ein so reines glühendes Gefühl folgte Schmerz.

Ich hatte keine Freundin, der ich meine unbefangne Freude entdecken, die sie mit mir theilen konnte. Ich pflückte indeß einen Strauß von diesen Veilchen, verbarg sie in meinen Busen und sagte zu mir: „Liebliche Blümchen, ich widme euch der Freundin, die mir einst zu Theil werden wird. Elisa wähle das Veilchen zu Deinem Lieblingsblümchen, Deine Freundschaft, mir tausendmal lieblicher, als sein süßcr Duft, hat mich in meinem zwanzigsten zigsten Jahre wieder aufgerichtet, wenn ich in dem Geräusche der Welt nur Überdruß und Langeweile empfand; wie einst dies Blümchen in meinem fünfzehnten Jahre die Liebe zum Leben wieder in mir erweckte.

Gieb dem Veilchen den Vorzug vor allen Blumen, meine einzige Freundin, denn sie ist auch das Sinnbild der Bescheidenheit.

Das Veilchen, meidend eitlen Schein,
Hüllt schüchtern sich in grünen Rasen ein,
Und schimmert es, benetzt vom Morgenthau,
Entdeckt man mühsam kaum sein dunkles Blau,
Und ungesehn würzt es die Frühlingsluft
Mit seinem milden balsamreichen Duft,
Ein edles weichgeschaffnes Herz ihm gleicht,
Das unerkannt dem Dürst'gen Lindrung reicht.

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